In der Werkreihe 4, die unter dem Titel „Selbstentdeckung“ zusammengefasst ist, verbindet alle Arbeiten ein außergewöhnlicher Schaffensprozess, der eine Fusion von Malerei und Skulptur bildet.
Was auf den ersten Blick wie abstrakte Gemälde wirkt, offenbart bei näherer Betrachtung eine verborgene Schicht: eine sorgfältige und meditative Suche nach einem verborgenen Motiv, das sich in den Formen des Bildes abzeichnet und aus dem abstrakten Chaos hervorgearbeitet wird.
Diese Arbeitsweise soll an die Bildhauerei erinnern, bei der ein Künstler ein Motiv aus einem rohen Steinblock „herausschlägt“. Ich übertrage diesen konzeptionellen Ansatz auf die Leinwand, indem ich nicht mit Hammer und Meißel arbeite, sondern durch Farbschichten und Texturen hindurchblicke, bis ich ein Motiv entdecke, das sich intuitiv offenbart.
Diese Motive, die erst im Prozess der Betrachtung und Reflexion auftauchen, symbolisieren das Unterbewusste, das allmählich in das Bewusstsein dringt – ein zentrales Thema, das in meinen Arbeiten dieser Reihe immer wiederkehrt.
Die Technik der „Motivhauerei“ verleiht meinen Arbeiten eine besondere Tiefe, da sie sowohl das Unkontrollierte und Spontane der abstrakten Malerei als auch das Methodische und Reflektierte der Bildhauerei in sich vereint. Es ist dieser Dialog zwischen Chaos und Ordnung, zwischen spontaner Kreativität und bewusster Gestaltung, der die Arbeiten der Werkreihe 4 prägt und sie für mich zu etwas Einzigartigem macht.
Die Farbgebung spielt in diesen Arbeiten ebenfalls eine bedeutende Rolle. Die kontrastreichen Farben, die ich verwende, schaffen nicht nur eine emotionale Spannung, sondern unterstützen auch den Prozess der Motivfindung. Während sich die Farben in den abstrakten Bereichen scheinbar zufällig anordnen, wird das spätere Motiv, das aus diesen Farbfeldern heraustritt, oft durch klarere Konturen und stärkere Kontraste hervorgehoben. Dieser Wechsel von diffusen, frei fließenden Farben hin zu definierten Formen unterstreicht den meditativen und gleichzeitig entdeckenden Charakter des Schaffensprozesses.
Ein weiteres verbindendes Element der Werke dieser Arbeiten ist die emotionale Tiefe, die in jedem einzelnen Bild spürbar ist. Ich lasse mich stark von meinem eigenen emotionalen Zustand und der inneren Welt inspirieren, was den Arbeiten eine sehr persönliche Note verleiht.
Die Motive, die er aus den abstrakten Schichten herausarbeitet, sind oft Metaphern für innere Konflikte, Sehnsüchte oder existenzielle Fragen. Dieser Prozess der Selbstentdeckung und der inneren Reflexion wird dem Betrachter zugänglich gemacht und lädt ihn dazu ein, selbst in die abstrakte Welt der Bilder einzutauchen und eigene Bedeutungen zu finden.
Diese Arbeiten fordern den Betrachter auf, geduldig hinzusehen und das Unsichtbare sichtbar werden zu lassen.
Entstehungsprozess und Technik
Die Motivhauerei beginnt immer mit einer abstrakten Arbeit, die aus meinem aktuellen Gefühl oder Stimmung heraus entsteht. Diese initiale Phase ist stark von meiner inneren Verfassung beeinflusst, sei es depressive Schwermut oder freudige Zufriedenheit.
Die Abstraktion dient hierbei als ein authentisches Ausdrucksmittel, insbesondere in Zeiten emotionaler Unruhe, wo detaillierte und gegenständliche Arbeit kaum möglich ist.
Nach einer variablen und unvorhersehbaren Reifezeit im Atelier, inspiriert durch eine erneute Reflexion, erkenne ich plötzlich ein Motiv in der abstrakten Arbeit. Dieser Moment des Erkennens ähnelt dem Entdecken von Formen in Wolkenbildern. Die Weiterverarbeitung dieses Motivs wird dann zu einer Art meditativen Tätigkeit, die die initiale Emotion in meinen konkreten künstlerischen Ausdruck verwandelt.
Der letzte Schritt umfasst dann das gezielte Entfernen von Teilen der abstrakten Arbeit mit weißer Farbe, um das erkannte Motiv hervorzuheben, ähnlich der Arbeit eines Bildhauers, der eine Skulptur aus einem Marmorblock herausarbeitet.
Verbindung zur Kunstgeschichte
Die Technik der Motivhauerei kann in Verbindung mit verschiedenen künstlerischen Traditionen und Methoden gesehen werden:
Bildhauerei und Abstraktion: Der Prozess, bei dem ein Motiv aus einer abstrakten Form herausgearbeitet wird, erinnert an die Herangehensweise von Bildhauern wie Michelangelo, der glaubte, dass jede Skulptur bereits im Marmorblock existiere und nur befreit werden müsse. In der Malerei finden wir eine ähnliche Philosophie in der Arbeit von abstrakten Expressionisten wie Jackson Pollock, deren Werke ebenfalls stark von inneren Gefühlen und Stimmungen geprägt sind.
Surrealismus und psychologische Reflexion: Die Technik des Erkennens von Motiven in abstrakten Formen hat Parallelen zum Surrealismus, insbesondere zu Künstlern wie Salvador Dalí und Max Ernst. Diese Künstler nutzten automatisches Zeichnen und Frottage, um unterbewusste Bilder und Assoziationen zu entdecken und zu visualisieren.
Schichten und Übermalungen: Die Bedeutung von Schichten, Übermalungen und Reifezeiten in der Motivhauerei findet Resonanz in den Arbeiten von Künstlern wie Gerhard Richter und Cy Twombly. Richters Technik der Übermalung und seine Schichtung von Farben betonen den Prozess und die Evolution eines Werkes über die Zeit. Twombly’s Arbeiten zeigen, wie spontane, gestische Markierungen im Laufe der Zeit transformiert und verfeinert werden.
Die Motivhauerei ist eine Technik, die sowohl die Tiefe der emotionalen Abstraktion als auch die Präzision der gegenständlichen Darstellung umfasst. Sie spiegelt die Komplexität der menschlichen Psyche wider und vereint historische künstlerische Traditionen mit einem modernen, meditativen Ansatz.
Durch die Verbindung von spontaner Kreativität und methodischer Reflexion bietet die Motivhauerei eine reiche und vielschichtige Herangehensweise an die Kunst, die sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter tiefgehende Einsichten und Erlebnisse ermöglicht.